Ziegenproblem

29. Juli 2009

Gerhard Keller

Ziegenproblem@aol.com

 

17. August 2012: Ergänzung um meinen von diesem Blog abgewiesenen Beitrag

 

Wahrscheinlich haben Sie schon einmal vom Ziegenproblem gehört, das in vielen Publikationen als Beispiel für das Versagen der menschlichen Intuition dargestellt wird. Vielleicht hat man Sie auch schon mal in Ihrem Bekanntenkreis oder in einer Bildungseinrichtung von dessen angeblicher Lösung zu überzeugen versucht. Oder Sie gehören sogar zu den empörten Leserbriefschreibern, die die in den Zeitungen vorgestellte Lösung für Unsinn halten. Vielleicht aber auch zu den wenigen, die sich gegen den Rest der Welt auf der Seite des klaren mathematischen Sachverstands sehen.

 

Ich habe schon vor einigen Jahren einen Artikel verfasst, in dem ich sowohl auf das Problem selbst als auch auf den Verlauf der Debatte eingehe. Der Text enthält zahlreiche Aspekte und Fakten, die in der Regel unter den Tisch fallen, die aber für die Thematik wesentlich sind. Zur Aktualisierung habe ich ihn an einigen Stellen angepasst und erweitert. Ich hoffe, dass er auch für diejenigen, die zum ersten Mal vom Ziegenproblem hören, Unterhaltungswert besitzt. Der Beitrag ist recht lang geworden. Damit Sie nicht den Überblick verlieren, hier die Hauptthese: "Die behauptete Zwei-Drittel-Lösung für das Ziegenproblem, das um die Welt ging, ist falsch.“

 

Hier sei auch sicherheitshalber schon angemerkt, dass im folgenden stets davon ausgegangen wird, dass zu Beginn des Spiels die Wahrscheinlichkeit für alle drei Türen, dass das Auto dahinter steht, jeweils gleich 1/3 ist.

 

Ein Auto und zwei Ziegen

 

Die wundersame Geschichte eines mathematischen Problems

 

Als Gero von Randow am 19. Juli 1991 in der ZEIT unter der Überschrift "Eingebung nützt nichts" einen Artikel zum "Ziegenproblem" (im Amerikanischen "Monty Hall Problem" nach dem Namen eines Showmasters) schrieb, schien die Sache nach viel Wirbel in den USA schon gelaufen.

 

Doch die hitzige Debatte über eine Mathematikaufgabe, die auf den ersten Blick recht einfach erscheint, ging auch in Europa weiter. Einen Monat später schrieb von Randow schon den größeren Artikel "Eine überzeugende Logik", in dem er der umstrittenen Lösung Marilyn vos Savants, der intelligentesten Frau der Welt, zustimmte. Später schrieb er ein ganzes Buch mit dem Titel "Das Ziegenproblem" (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 10. Auflage März 2001). Es folgten viele weitere Veröffentlichungen zum Thema, in denen die Lösung vos Savants verteidigt wird; darunter das Buch "The Power of Logical Thinking" von Marilyn vos Savant selbst (St. Martin's Press, New York, 1996), in dem das "Monty Hall Dilemma" einen großen Raum einnimmt.

 

Verlauf und aktuellen Stand der öffentlichen Debatte kann man folgendermaßen zusammenfassen: In der amerikanischen Zeitschrift "Parade" werden im September 1990 nach einer Leseranfrage das Problem und seine angebliche Lösung von Marilyn vos Savant vorgestellt. Tausende von Leserbriefen widersprechen dieser Lösung. Überall, wo die Aufgabe seither gestellt wird, läuft die Debatte nach diesem Muster ab: Veröffentlicht wird das Problem von Vertretern der Lösung vos Savants, und die erneut folgenden zahlreichen Proteste werden nur als Bestätigung dafür genommen, dass die "menschliche Intuition" in diesem Fall präziser mathematischer Begründung nicht standhalte.

 

Worum geht es?

 

"Sie nehmen an einer Spielshow im Fernsehen teil, bei der Sie eine von drei verschlossenen Türen auswählen sollen. Hinter einer Tür wartet der Preis, ein Auto, hinter den beiden anderen stehen Ziegen. Sie zeigen auf eine Tür, sagen wir Nummer eins. Sie bleibt vorerst geschlossen. Der Moderator weiß, hinter welcher Tür sich das Auto befindet; mit den Worten 'Ich zeige Ihnen mal was' öffnet er eine andere Tür, zum Beispiel Nummer drei, und eine meckernde Ziege schaut ins Publikum. Er fragt: 'Bleiben Sie bei Nummer eins, oder wählen Sie Nummer zwei?'"

 

So formuliert Gero von Randow die Aufgabe in seinem Buch (S. 7); und in einem weiteren ZEIT-Artikel vom 18. November 2004 wird das analoge Problem gestellt. Auch diesem Artikel folgte bald ein weiterer von Gero von Randow, in dem er Marilyn vos Savants Lösung verteidigte:

 

"Die Wahrscheinlichkeit, dass das Auto hinter Tür zwei steht, beträgt zwei Drittel."

 

Kritik an der Kombination aus Aufgabe und Lösung

 

Gleich nach dem ersten ZEIT-Artikel im Jahr 1991 habe ich Marilyn vos Savant sowohl mit mathematischen Begründungen als auch mit anschaulichen Argumenten recht gegeben. Meinen Vorschlag, man spiele mit hundert anstatt nur mit drei Türen, hat von Randow damals in seinen zweiten Artikel und später in sein Buch (S. 10) übernommen (s.a. z.B. diesen Bezug im Internet (13.7.2009)) .

 

Allerdings hatte ich damals hinzugefügt und in einem weiteren Brief ausführlich begründet, dass die Zwei-Drittel-Lösung nur richtig ist, wenn der Moderator nach der ersten Wahl durch die Spielregel zum Öffnen einer nicht gewählten Ziegentür gezwungen ist.

 

(Kopien meiner beiden Briefe an die ZEIT aus dem Jahr 1991 habe ich diesem Artikel unten als Anhang beigefügt.)

 

Da das Problem im Jahr 1991 mit der Zwei-Drittel-Lösung als endgültig gelöst vorgestellt wurde, hatte ich angenommen, dass in der Original-Problemstellung, die Marilyn vos Savant veröffentlicht hatte, die erwähnte Spielregel enthalten war. Als ich vor einigen Jahren erneut auf das Ziegenproblem gestoßen bin, war ich überrascht zu sehen, dass das nicht der Fall gewesen war.

 

Ohne ausführlich zu werden, kann man leicht begründen, weshalb die Zwei-Drittel-Lösung ohne diese oder eine gleichwertige Spielregel falsch ist:

 

Man nehme an, dass der Moderator eine andere Tür nur dann öffnet, wenn der Kandidat mit der ersten Wahl recht hatte. Wenn dann die Show in der üblicherweise geschilderten Weise abläuft, verliert der Kandidat bei einem Wechsel hundertprozentig.

 

Auf diese Gedanken sind natürlich auch andere gekommen; und auch die Vertreter der Zwei-Drittel-Lösung haben davon erfahren. Und damit wären wir bei der eigenartigsten Phase der Debatte angelangt.

 

Die "Debatte" wird grotesk

 

In Fußnoten, weiteren zusätzlichen Abschnitten oder bei der Begründung der Lösung wurde später oft mitgeteilt, dass die Lösung vos Savants nur korrekt ist, wenn die erwähnte Spielregel gilt. In die Aufgabenstellung selbst, wie sie beispielsweise von Bildungsforschern Schülern vorgelegt wurde (siehe DIE ZEIT, 18.11.2004; hier die Internet-Version), wurde die Regel aber nicht aufgenommen. Trotzdem wurde die Zwei-Drittel-Lösung als einzig richtige Lösung vorgestellt. Und meistens wird auf diese Spielregel auch in den Beiträgen, in denen sie an irgendeiner Stelle inzwischen erwähnt wird, bei der Begründung der Lösung überhaupt kein Bezug genommen.

 

Das ist umso erstaunlicher, als schon am 21. Juli 1991 - zwei Tage nach dem ersten ZEIT-Artikel Gero von Randows - auf Seite 1 der Sonntagsausgabe der New York Times ein Artikel von John Tierney erschienen war mit der Absicht, das Problem ein für alle Mal zu klären. Es wurden dazu die vier Personen befragt, denen man diese Klärung am ehesten zutraute: Martin Gardner, der bekannte Autor mathematischer Knobelaufgaben; Persi Diaconis, sowohl Professor für Statistik an der Harvard und an der Stanford University als auch erfahrener Zauberkünstler; Marilyn vos Savant selbst sowie der Showmaster Monty Hall, von dem das Problem seinen Namen hat. (Die Internet-Version dieses Artikels ist hier zu finden.)

 

DER SPIEGEL beispielsweise bezieht sich zwar in der Ausgabe vom 19. August 1991 auf diesen Artikel, lässt jedoch folgende Einwände einfach weg:

 

"'The problem is not well-formed,' Mr. Gardner said, 'unless it makes clear that the host must always open an empty door and offer the switch. Otherwise, if the host is malevolent, he may open another door only when it's to his advantage to let the player switch, and the probability of being right by switching could be as low as zero.' Mr. Gardner said the ambiguity could be eliminated if the host promised ahead of time to open another door and then offer a switch.

 

Ms. vos Savant acknowledged that the ambiguity did exist in her original statement. She said it was a minor assumption that should have been made obvious by her subsequent analyses, and that did not excuse her professorial critics. 'I wouldn't have minded if they had raised that objection,' she said Friday, 'because it would mean they really understood the problem. But they never got beyond their first mistaken impression. That's what dismayed me.'

 

Still, because of the ambiguity in the wording, it is impossible to solve the problem as stated through mathematical reasoning. 'The strict argument, ' Dr. Diaconis said, 'would be that the question cannot be answered without knowing the motivation of the host.'

 

Which means, of course, that the only person who can answer this version of the Monty Hall Problem is Monty Hall himself. Here is what should be the last word on the subject:

 

'If the host is required to open a door all the time and offer you a switch, then you should take the switch,' he said. 'But if he has the choice whether to allow a switch or not, beware. Caveat emptor. It all depends on his mood.'"

 

Für diejenigen, die den englischen Text nicht verstehen, hier meine Übersetzung dieser Passage:

 

"’Das Problem ist nicht gut formuliert', sagte Herr Gardner, 'es sei denn, es stellt klar, dass der Showmaster immer eine Nietentür öffnen und den Wechsel anbieten muss. Im anderen Fall könnte der Showmaster, wenn er es schlecht mit dem Kandidaten meint, eine andere Tür nur dann öffnen, wenn es zu seinem eigenen Vorteil ist, den Kandidaten wechseln zu lassen, und die Wahrscheinlichkeit, bei einem Wechsel zu gewinnen, wäre dann sogar gleich null.' Herr Gardner sagte, die Mehrdeutigkeit könne beseitigt werden, wenn sich der Showmaster ganz am Anfang verpflichtete, eine andere Tür zu öffnen und den Wechsel anzubieten.

 

Frau vos Savant bestätigte, dass ihre ursprüngliche Formulierung diese Mehrdeutigkeit enthielt. Sie sagte, es sei eine kleine Zusatzannahme, die sie in ihren nachträglichen Betrachtungen hätte deutlich machen sollen, was aber ihre akademischen Kritiker nicht entschuldige. 'Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn sie diesen Einwand gebracht hätten', sagte sie am Freitag, 'weil das bedeuten würde, dass sie das Problem wirklich verstanden haben. Aber sie gingen nie hinter ihre erste fehlerhafte Reaktion zurück. Das war enttäuschend.'

 

Aber es bleibt: Wegen der Unklarheit der Formulierung ist es unmöglich, das Problem, so wie es gestellt ist, durch mathematische Argumentation zu lösen. 'Genau genommen muss man sagen', erklärte Dr. Diaconis, 'dass die Frage nicht beantwortet werden kann, ohne die Beweggründe des Showmasters zu kennen.'

 

Und das heißt, dass die einzige Person, die zu dieser Version des Monty-Hall-Problems die richtige Antwort geben kann, Monty Hall selbst ist. Das sollte also das letzte Wort zum Thema sein:

 

'Wenn der Showmaster gezwungen ist, immer eine Tür zu öffnen und den Wechsel anzubieten, dann sollten Sie wechseln', sagte er. 'Aber wenn er die Wahl hat, einen Wechsel anzubieten oder nicht, dann aufgepasst! Keine Garantie! Alles hängt von seiner Laune ab.'"

 

Am Ende kann man in einem unstrukturierten Absatz, dessen formale Bedeutung innerhalb des Internet-Artikels nicht klar ist, eine Variante der Aufgabenstellung finden, in der es an der entscheidenden Stelle entsprechend den Einwänden jetzt heißt:

 

"'First you point to a door,' he explains. 'Then I'll open one of the other doors to reveal a goat. After I've shown you the goat, you make your final choice, and you win whatever is behind that door.'"

 

(Übersetzung: "'Zunächst zeigen Sie auf eine Tür', erklärt er. 'Dann werde ich eine der anderen Türen mit einer Ziege dahinter öffnen. Nachdem ich die Ziege gezeigt habe, wählen Sie endgültig eine Tür aus, und Sie gewinnen, was sich hinter dieser Tür befindet.'")

 

Obwohl es kaum zu glauben ist, kann nicht nur der Bezug des SPIEGEL auf diesen Artikel (s.o.), sondern sogar der des Autors John Tierney selbst als Musterbeispiel der auf den ersten Blick rätselhaften Reaktion innerhalb der "Zwei-Drittel-Fraktion" auf die Kritik an der Aufgabenstellung gelten:

 

Genau wie der SPIEGEL, der auf die Einwände Diaconis’, Gardners und Monty Halls überhaupt nicht einging, greift Tierney in einem Artikel der New York Times vom 8. April 2008 das Ziegenproblem erneut auf, sogar mit einem Verweis auf seinen Artikel von 1991, aber so, als hätte es dort zu der Aufgabe, die die Kontroverse ausgelöst hatte, keinerlei Einwände gegeben. Scheinbar bruchlos heißt es im Artikel von 2008 an der entsprechenden Stelle jetzt:

 

"You start by picking a door, but before it’s opened Monty will always open another door to reveal a goat. Then he’ll let you open either remaining door.”

 

(Übersetzung: "Sie beginnen, indem Sie eine Tür wählen. Aber bevor sie geöffnet wird, öffnet Monty immer eine andere Tür mit einer Ziege. Dann lässt er Sie eine der verbleibenden Türen öffnen.")

 

Das Ziegenproblem wird wieder als herausragendes Beispiel für das Scheitern der menschlichen Intuition dargestellt. Auf welche Aufgabenstellung aber die Reaktionen der großen Mehrheit gefolgt waren, spielt für Tierney überhaupt keine Rolle.

 

Und in dem interaktiven Spiel, auf das zur Überzeugung der Zweifler im Artikel verwiesen wird, heißt es an der entscheidenden Stelle:

 

"But before Monty Hall opens the door you chose, he wants to make the game more interesting. He opens one of the other doors to reveal a goat."

 

(Übersetzung: "Aber bevor Monty Hall die Tür öffnet, die Sie gewählt haben, möchte er das Spiel interessanter machen. Er öffnet eine der anderen Türen mit einer Ziege.")

 

Bis zu den Verfassern dieses "Beweises" hatte es sich also auch im April 2008 noch nicht herumgesprochen, dass man die ursprüngliche Aufgabe umformulieren muss, damit die von den Publizisten des Ziegenproblems behauptete Lösung stimmt:

 

Die Formulierung "he wants to make the game more interesting" ("Er möchte das Spiel interessanter machen") zeigt, dass gerade nicht davon ausgegangen wird, dass der Moderator auf Grund einer Spielregel keinerlei Handlungsspielraum hat, sondern dass er vielmehr selbst den weiteren Verlauf des Spiels bestimmen kann; was die Zwei-Drittel-Lösung wie ein Kartenhaus zusammenstürzen lässt. Doch das ist noch nicht das Ende: Nachdem das Spiel gespielt ist, heißt es im zweiten Fenster der Begründung der Zwei-Drittel-Lösung:

 

"The critical aspect of the problem is that Monty Hall always opens a door to reveal one of the goats."

 

(Übersetzung: "Der kritische Punkt bei dem Problem ist, dass Monty Hall immer eine Ziegentür öffnet.")

 

Nehmen wir einmal an, dass damit wirklich gemeint ist, dass der Moderator durch die Spielregel zum Öffnen einer nicht gewählten Ziegentür gezwungen ist, so stellt sich doch die Frage: Warum wurde das nicht gleich gesagt? – Aber ich habe offensichtlich den falschen Kindergarten besucht.

 

Bevor ich weiter unten noch weitere Bemerkungen zu der Konfusion machen werde, die die Publizisten des Ziegenproblems hervorgerufen haben und die von vielen weitergetragen wird, die schließlich nach schwerem Ringen zur Zwei-Drittel-Lösung ihr "Ja-Wort" gegeben haben, möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass es hier bei der Darstellung der unterschiedlichen Aufgabenformulierungen darum geht, ob jeweils ein Problem mit einer Zwei-Drittel-Lösung oder aber mit einer "Halbe-Halbe"-Lösung vorliegt.

 

(Darauf, dass bei der durch Marilyn vos Savant und Gero von Randow vorgelegten Problemstellung nicht nur die Zwei-Drittel-Lösung falsch, sondern die "Halbe-Halbe"-Lösung auch unter strengen mathematischen Gesichtspunkten die korrekte Lösung ist, werde ich unten noch näher eingehen.)

 

Warum wurde auf die Kritik nicht angemessen reagiert?

 

Es ergibt sich nun die Frage, warum eine Problemstellung, die für jahrzehntelange Auseinandersetzungen sorgt, trotz der beschriebenen Einwände meistens nicht so formuliert wird, dass die angebliche Lösung auch zur Aufgabe passt.

 

Mir fällt nur eine plausible Antwort ein: Die meisten Vertreter der Zwei-Drittel-Lösung haben das Problem zunächst nicht verstanden. Und die "Mitläufer" verstehen es bis heute nicht.

 

Je klarer die Bedeutung der Spielregel in der Zwei-Drittel-Fraktion wurde, desto mehr schien man sich in den "Forschungen" zum Ziegenproblem der Frage zu widmen:

 

"Wie können wir den Fehler in der Aufgabenstellung vertuschen?"

 

Marilyn vos Savant beginnt in ihrem Buch die Einleitung zum Thema mit der oben formulierten Aufgabe (übrigens ohne den Zusatz "Ich zeige Ihnen mal was"), die ihr von einem Leser gestellt worden war. Ihre erste Antwort lautete:

 

"Yes, you should switch. The first door has a 1/3 chance of winning, the second door has a 2/3 chance. Here's a good way to visualize what happened: Suppose there are a million doors, and you pick door number 1. Then the host, who knows what's behind the doors and will always avoid the one with the prize, opens them all except door number 777,777. You should switch to that door pretty fast, wouldn't you?"

 

(Übersetzung: "Ja, Sie sollten wechseln. Die erste Tür hat eine Gewinnchance von 1/3, die zweite von 2/3. Hier eine gute Möglichkeit zur Veranschaulichung des Geschehens: Nehmen wir an, es gibt eine Million Türen, und Sie wählen Tür 1. Dann öffnet der Showmaster, der weiß, was sich hinter den Türen befindet, und die Tür mit dem Preis stets meidet, alle außer Tür 777777. Sollten Sie dann nicht ganz schnell zu dieser Tür wechseln?")

 

Aus ihrer Beschreibung der sich anschließenden Phase, während der sie zehntausend Leserbriefe erhielt, von denen 90 Prozent ihre Lösung für falsch hielten, geht an einigen Stellen hervor, dass es Leser gab, die Kritik an der Aufgabenstellung übten. Aber weit davon entfernt, diesen Einwänden den Stellenwert einzuräumen, den sie verdienten, hebt vos Savant lediglich ihre These hervor, dass die große Mehrheit die Aufgabe so verstanden habe, dass die Zwei-Drittel-Lösung richtig gewesen wäre. Damit kann sie auch bei ihrem Leitgedanken zum Ziegenproblem bleiben: Dass es ein ideales Beispiel für eine Fragestellung sei, bei der die menschliche Intuition versagt.

 

Interessanterweise enthält das Buch vos Savants einen 25-seitigen Anhang von Donald Granberg von der University of Missouri, der die zehntausend Leserbriefe näher analysierte. Am Anfang fasst er den Stand der Diskussion zustimmend so zusammen, dass Marilyns Antwort unter sieben "hoch plausiblen Annahmen" im wesentlichen korrekt sei. Die vierte Annahme beinhaltet die Verpflichtung des Moderators, nach der ersten Wahl eine nicht gewählte Ziegentür zu öffnen, die letzte, dass der Showmaster vertrauenswürdig sein muss.

 

Auch einige der von Granberg vorgestellten Leserbriefe beinhalten durchaus stichhaltige Argumente gegen die Lösung vos Savants für die gestellte Aufgabe. Aber auch Granberg kann sich nicht zu der Forderung durchringen, dass die Spielregeln in die Aufgabenstellung gehören und nicht nur in die Begründung der Lösung.

 

Wikipedia mischt munter mit

 

Denselben Fehler enthält die erste Version aus dem Jahr 2002 zum Ziegenproblem im Internet-Lexikon Wikipedia. Bemerkenswert ist dann der kleine, etwas verloren wirkende Zusatz zur Aufgabe, der sich vom 18. auf den 19. Januar 2005 hineingeschlichen hat: "Der Ablauf ist dabei immer wie folgt." Später wurde ein separater Abschnitt zur "Unschärfe" der ursprünglichen Problemstellung hinzugefügt. Die Version vom 21.8.2008 enthielt dann sowohl analog zu Granberg eine Aufgabenstellung aus sieben Einzelpunkten als auch die "originale Problemstellung". Im Artikeltext wurden die beiden Aufgaben allerdings so behandelt, als seien sie gleichwertig. Und das "Verständnisproblem" wurde nach wie vor nur bei denen diagnostiziert, die der Zwei-Drittel-Lösung widersprochen hatten.

 

Auch in der jetzigen Version von Wikipedia (16. Juni 2009, 15 Uhr), die einige korrekte Beweise zur im Granberg-Stil verbliebenen Aufgabe (s.o.) enthält, sind die "Nachwirkungen" des falschen Verständnisses auf Seiten einiger Autoren noch stark spürbar: So wird zwar unter Bezug auf einen Artikel von Marc Steinbach, in dem er die möglichen Spielvarianten detailliert analysiert, darauf hingewiesen, dass in der ursprünglich gestellten Aufgabe "zwei wesentliche Punkte … nicht formuliert" sind; trotzdem wird im letzten Satz des entsprechenden Abschnitts die "Kontroverse" als Reaktion auf die "richtige" Antwort Marilyn vos Savants dargestellt. Und die Literaturangaben, die von der ursprünglichen Aufgabenstellung ausgehen und deren Problematik mit keinem Wort erwähnen, hat man einfach kommentarlos stehen lassen.

 

Dabei ist besonders aufschlussreich, dass in der deutschen wie auch in der englischen Wikipedia auf Beiträge verwiesen wird, deren Autoren im Überschwang der Freude darüber, zu den Besserwissenden zu gehören, die Aufgabe durch Ausschmückungen wie Gero von Randow mit seinem Zusatz "Ich zeige Ihnen mal was" unglücklicherweise "in die verkehrte Richtung" verändern, so dass sie ihre Behauptung selbst widerlegen, sie hätten die Gültigkeit der entscheidenden Spielregel als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.

 

Am 7. Juni 2007 wurde übrigens über der öffentlichen Diskussionsseite zum Ziegenproblem-Artikel in Wikipedia selbstbewusst ein "Verbotsschild" für diejenigen angebracht, die an der Zwei-Drittel-Lösung zweifeln. Doch es fehlt der Hinweis, seit welcher Aufgabenversion die Zwei-Drittel-Lösung tatsächlich korrekt ist.

 

Zu der inzwischen in der Zwei-Drittel-Fraktion weit verbreiteten Methode der "Anpassung der Aufgabe an die Lösung" fällt mir zwar zunächst wieder nur ein, dass ich wohl den falschen Kindergarten besucht habe. Aber gleichzeitig liefert die Erinnerung an jene Zeit auch eine passende Analogie:

 

In einem Zirkus trat ein Elefant auf, der rechnen konnte. Es lief so ab, dass der Dompteur nacheinander zwei Gruppen von Stäben zeigte. Der Elefant sollte durch Stampfen die Summe anzeigen. Zunächst lief alles gut. Aber bei "3 + 4" stampfte er achtmal. Nach der Kritik von Publikum und Dompteur schnappte er mit dem Rüssel einen Stab aus der Hand des Dompteurs und zerbrach ihn in zwei Stücke.

 

Übrigens hat der Elefant zu seiner These keine Literaturangaben gemacht. Der Wikipedianer würde sie deshalb als reine "Theoriefindung" verwerfen. Andererseits konnte es dem Elefanten deshalb auch nicht passieren, weiterhin auf Quellen zu verweisen, in denen steht: "3 + 4 = 8".

 

Denkfehler

 

Meiner Ansicht nach wird bei vielen in der Zwei-Drittel-Fraktion auch heute noch nicht der Unterschied zwischen der bloßen Tatsache gesehen, dass der Moderator nach der ersten Wahl eine nicht gewählte Ziegentür öffnet, und dem Zwang zu dieser Handlung, der sich durch die erwähnte Spielregel ergäbe und der entscheidend ist für die Begründung der Zwei-Drittel-Lösung, insbesondere auch für das "Nachspielen" und für "Computer-Beweise".

 

Während die große Mehrheit zwischen der ersten Wahl des Kandidaten und der Handlung des Moderators offensichtlich überhaupt keine Kopplung sieht und deshalb - bei der vorgelegten Aufgabenstellung durchaus korrekt - auf gleichen Chancen für beide verbleibenden Türen besteht, ging die Zwei-Drittel-Fraktion offenbar von einer Kopplung aus, die aber im Nebel geblieben und deshalb in der Aufgabe nicht explizit formuliert worden ist.

 

Diesen von mir vermuteten Denkfehler habe ich in meinem Brief 1991 so formuliert: "Ich denke mir Tür eins. Der Moderator öffnet Tür drei. Also habe ich jetzt mit Tür zwei eine Zwei-Drittel-Chance." Auf der Basis dieses Fehlers, der sich natürlich nicht so "explizit" zeigen muss wie in meiner Formulierung, lassen sich einleuchtend scheinende Fallunterscheidungen, dekoriert mit Bildern von Autos und Ziegen, zur Begründung der Zwei-Drittel-Lösung aufstellen. Und dieser Denkfehler dürfte der Grund dafür sein, dass die erforderliche Spielregel nicht in die Aufgabenformulierung aufgenommen worden ist.

 

Eine Bestätigung für diese Vermutung liefert ungewollt Gero von Randow, ein prominenter Vertreter der Zwei-Drittel-Lösung:

 

Auf S. 52 seines Buchs "Das Ziegenproblem" schildert er unter "Mein Irrtum" eine Spielvariante von Dr. Bijan Sabzevari. Diese Variante enthält analog zu dem von mir beschriebenen "Denkfehler" auch einen Gedanken als ersten "Spielzug". Das Sabzevari-Spiel lässt von Randow zunächst glauben, dass die Zwei-Drittel-Lösung auch ganz ohne den Zwang einer Spielregel folgt.

 

Wäre für von Randow die erwähnte Spielregel tatsächlich eine "Selbstverständlichkeit" und entscheidende Voraussetzung für die Zwei-Drittel-Lösung gewesen, hätte er in dem bei der Sabzevari-Varianten "explizit" fehlenden Zwang sofort den entscheidenden Unterschied und den Grund für eine 50:50-Lösung gesehen. Nach seinem "Irrtum" schreibt er schließlich - auf Seite 57; d.h. 50 Seiten nach der oben wiedergegebenen Leitaufgabe des Buchs:

 

"Die Savant'sche Lösung ist also nur richtig, wenn der Moderator weder die Autotür noch die erstgewählte Tür aufmachen darf."

 

Nachdem er also zumindest einen Teil der richtigen Aufgabenstellung aus seiner Lösung hergeleitet hat, fordert er seltsamerweise nicht die explizite Formulierung dieser Spielregel für das Ziegenproblem, sondern zieht die Kritik an der fehlenden Spielregel in dem folgenden Abschnitt "Ist das Ziegenproblem unlösbar?" ins Lächerliche; übrigens ohne Namen von Kritikern wie Gardner, Diaconis oder Monty Hall zu nennen. Er ist offensichtlich anderer Meinung als Marilyn vos Savant, die den "Kritikern" immerhin bescheinigt, das Problem wirklich verstanden zu haben.

 

Bei seiner Begründung dafür, dass man die zur Debatte stehende Spielregel auch weglassen kann, da sie sich angeblich als "zwanglose" Annahme ergibt, hebt er die folgenden Punkte besonders hervor, obwohl durch sie diese Annahme keineswegs in objektiv nachvollziehbarer Weise nahegelegt wird (S.58):

 

"Wir haben:

- Eine Spielshow

- Den Hinweis auf das Wissen des Moderators

- Seine Äußerung 'Ich zeige Ihnen mal was'. "

 

So sieht also seine Widerlegung der von ihm auf Seite 13 ironisch erwähnten "messerscharfe(n) Contra-Argumente" von "scharfsinnigen Leute(n)", "vornehmlich Mathematiker und Philosophen", aus.

 

In dem ZEIT-Artikel vom 18. November 2004 (s.o.) und in dem von Gero von Randow persönlich geschriebenen Folgeartikel fällt die Problematik der Aufgabenstellung jedoch völlig unter den Tisch.

 

Weite Verbreitung der falschen Lösung

 

Verständlich, dass sich beim Schulbesuch von Bildungsforschern an einem Berliner Gymnasium ausgerechnet die Schüler des Leistungskurses Mathematik der 13. Klasse dem Unterjubeln der Zwei-Drittel-Lösung, diesem "Triumph der Didaktik", am stärksten widersetzten (DIE ZEIT, 18.11.2004; s.o.). Beim zweiten Versuch haben die "Mathe-Cracks" dann die Bildungsforscher durch Zustimmung zufriedengestellt.

 

Was die Vertreter der Zwei-Drittel-Lösung - auch ohne die erwähnte Spielregel - so sicher gemacht hat, ist die scheinbar ebenso einfache wie "einleuchtende" Begründung, die übrigens auch Donald Granberg allein nicht anerkennt. Sie lautet:

 

"Die Wahrscheinlichkeit, dass das Auto hinter Tür 1 steht, beträgt 1/3. Wenn ich bei meiner ersten Wahl bleibe, gewinne ich also mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3. Bei einem Wechsel beträgt daher meine Gewinnchance 2/3."

 

Diese Argumentation ist bei der vorgelegten Aufgabenstellung falsch. Zwar beträgt am Anfang die Wahrscheinlichkeit für "Tür 2 oder 3" zwei Drittel. Nach Öffnen von Tür 3 ist aber die Wahrscheinlichkeit für die beiden verbleibenden Türen jeweils gleich 1/2 - egal, ob der Kandidat vorher auf Tür 1 oder sonstwohin gezeigt hat oder auch nicht. Tür 2 "erbt" nur dann die Ein-Drittel-Wahrscheinlichkeit der geöffneten Tür 3, wenn das Öffnen einer nicht gewählten Ziegentür durch den Moderator von der Spielregel erzwungen worden ist.

 

Erst mit dieser Spielregel kann folgender ebenso einfache wie entscheidende Schritt zum Verständnis der Zwei-Drittel-Lösung zum Ausdruck gebracht werden, der für alle Interessierten unmittelbar verständlich sein dürfte:

 

Wenn der Kandidat bei seiner zweiten Wahl die Tür wechselt, gewinnt er in zwei Drittel der möglichen Fälle. Am Beispiel: Wählt er am Anfang Tür 1, gewinnt er bei einem Wechsel sowohl, wenn das Auto hinter Tür 2 steht, als auch, wenn es hinter Tür 3 steht. Denn der Moderator muss dann entweder Tür 3 oder Tür 2 öffnen, und der Kandidat öffnet anschließend die andere dieser beiden Türen.

 

Auch nur mit der genannten (oder einer gleichwertigen) Spielregel ist die zentrale Aussage zur Begründung der Zwei-Drittel-Lösung des Ziegenproblems, die von der konkreten Situation vor der zweiten Wahl ausgeht, überhaupt erst formulierbar:

 

Angenommen, der Kandidat "wählt" zu Beginn Tür 1. Dann ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Moderator Tür 3 öffnet, wenn das Auto hinter Tür 2 steht (p = 1), doppelt so groß wie die Wahrscheinlichkeit dafür, dass er Tür 3 öffnet, wenn das Auto hinter Tür 1 steht (p = 1/2 (Annahme; s.u.)).

 

Das Ziegenproblem reiht sich damit sofort nahtlos in alle Aufgabenstellungen ein, bei denen eine Aktion A mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit durchgeführt wird, je nachdem, ob Ereignis E1 oder Ereignis E2 vorliegt. Beim "Rückschluss" nach dem (plausiblen) Satz von Bayes führen diese unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten unter der Bedingung, dass Aktion A durchgeführt wurde, zu entsprechend unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten für die Ereignisse E1 und E2 selbst.

 

Die weit verbreiteten Begründungsversuche, die ohne diese (oder analoge) Gedankengänge auszukommen versuchen, beginnen meist mit dem "Befehl", dass sich die Wahrscheinlichkeit für die gewählte Tür ja durch das Öffnen einer anderen Nietentür nicht ändere, was schon zeigt, dass man auf eine Scherzaufgabe hereingefallen ist. Nach diesem ersten Satz, der eigentlich zu beweisen wäre, was aber nicht gelingen kann, folgen dann konfuse Erörterungen mit dem Resultat, dass das Ziegenproblem zur Erklärung der eigenen Verwirrung zum "Wunder" erklärt wird.

 

Ein entscheidender Grund dafür, dass von vielen aus der Zwei-Drittel-Fraktion der entscheidende Fehler nicht erkannt worden ist, dürfte auch gewesen sein, dass man durch häufiges "Nachspielen" oder entsprechende Computerprogramme die Zwei-Drittel-Lösung scheinbar "beweisen" kann. Dass dabei aber die nicht formulierte Spielregel als unausgesprochene Voraussetzung in den "Beweis" einfließt, wurde nicht erkannt.

 

Entsprechendes gilt für die Anwendung mathematischer Formeln, bei der Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Ereignisse vorausgesetzt werden, die durch die Aufgabenstellung nicht gegeben sind.

 

Intuition gegen Unterjubeln

 

Die Reaktion der großen Mehrheit auf die angebliche Zwei-Drittel-Lösung für das "Ziegenproblem" kann man durchaus so interpretieren, dass sie "intuitiv" richtig erkannte, dass an der Sache etwas faul ist - nur dass sie nicht genau sagen konnte, wo der Haken liegt.

 

Das Ziegenproblem hat als "bestes Beispiel für das Scheitern menschlicher Intuition" deshalb eine so große Berühmtheit erlangt, weil die behauptete Lösung gar nicht stimmte.

 

Allzu gern haben aber die Publizisten und ihre "Ja-Sager“ auf das Scheitern der "Intuition“ der großen Mehrheit hingewiesen – und als "Konvertiten“ die Geschichte ihrer eigenen "Bekehrung" geschildert. Und wenn unter denjenigen, die die Zwei-Drittel-Lösung für Unsinn hielten, auch bekannte Mathematiker und andere Wissenschaftler waren, wurde das nur als Bestätigung für die Einzigartigkeit des Ziegenproblems als Beleg für die Schwierigkeiten genommen, die der menschliche Verstand beim Umgang mit Wahrscheinlichkeiten hat.

 

In diesem Zusammenhang möchte ich auch einmal die vielen guten Spieler erwähnen, die selbst in verwickelten Fällen Wahrscheinlichkeiten auf das genaueste einschätzen können. Und skeptisch hätte die Zwei-Drittel-Fraktion auch machen müssen, dass die massiven "Proteste" gegen die Zwei-Drittel-Lösung vorwiegend von Leuten kamen, die sich auf Grund ihres Wissens und ihrer Erfahrung diese "Einmischung" zutrauten.

 

Sofern die Einwände dieser Leute auf "Intuition" beruhten, wurde sie bestätigt.

 

Das Ziegenproblem ist in der Form, in der es vorwiegend durch die Medien und weite Bereiche der Gesellschaft ging, tatsächlich nichts anderes als eine Scherzaufgabe von folgendem Typ: Ich denke mir eine der Zahlen 1, 2 oder 3; und ich verrate, welche der beiden Zahlen 2 oder 3 es nicht ist: die 3.

 

Ziegenproblem als Paradebeispiel

 

Auf Grund der These vom Ziegenproblem als prägnantes Beispiel für die Unzulänglichkeiten des menschlichen Geistes haben sich natürlich schnell Vertreter aller möglichen Fachgebiete an das Thema gehängt. Dass Pädagogen und Didaktiker ihren Hokuspokus zum Ziegenproblem als Durchbruch in ihren Disziplinen gefeiert haben, wurde schon erwähnt.

 

Aber auch Psychologen haben sich schnell mit Erklärungsversuchen zu Wort gemeldet. (Im oben erwähnten Artikel von 2008 greift John Tierney das Ziegenproblem wieder auf als Hilfe zur Analyse geistig-psychischer Prozesse. Affen kommen dort auch vor. Warum auch nicht. Im vorliegenden Artikel haben sich ja auch schon Elefanten als nützlich erwiesen.)

 

So wurde beispielsweise die Auffassung der großen Mehrheit zum Ziegenproblem, die Chancen seien bei beiden verbleibenden Türen gleich, als psychisch begründetes "Beharren" gewertet; nur weil bei der Einkleidung des Problems ein "Wechsel" vorkommt.

 

So unsinnig das Argument dieser Psychologen ist; für das vorliegende Thema ist es trotzdem nützlich:

 

Als "Beharren" lässt sich das Verbleiben bei der ersten "Wahl" nach dem Wechselangebot des Moderators nur dann werten, wenn die erste Aktion des Kandidaten eine echte Wahl ist mit der Hoffnung, damit das Auto zu gewinnen; und nicht eine Aufforderung an den Moderator, eine der beiden anderen Türen mit einer Ziege zu öffnen, worauf die eigentliche Wahl ja erst folgen würde.

 

D.h. die Aufgabe wurde von diesen Wissenschaftlern so aufgefasst, wie sie auch formuliert ist, und mit der Zwei-Drittel-Lösung falsch gelöst.

 

Begründung der 2/3-Lösung bei korrekter Aufgabenstellung

 

Mit der erwähnten Spielregel, dass der Moderator nach der ersten Wahl des Kandidaten eine nicht gewählte Ziegentür öffnen und einen "Wechsel" anbieten muss, ergeben sich an dem Beispiel, dass der Kandidat zunächst Tür 1 "wählt", für die einzelnen Ereignisse folgende Wahrscheinlichkeiten.

 

Dabei folgen die Wahrscheinlichkeiten für die Punkte 3. und 4. direkt aus der genannten Spielregel; bei den Punkten 1. und 2. wird zusätzlich angenommen, dass der Moderator, wenn er laut Spielregel die Wahl zwischen zwei Ziegentüren hat, keine gegenüber der anderen bevorzugt (s.u.).

 

1. Auto hinter Tür 1 - Moderator öffnet Tür 2  : p = 1/6   (Annahme)

2. Auto hinter Tür 1 - Moderator öffnet Tür 3  : p = 1/6   (Annahme)

 

3. Auto hinter Tür 2 - Moderator öffnet Tür 3  : p = 1/3

 

4. Auto hinter Tür 3 - Moderator öffnet Tür 2  : p = 1/3

 

 

Wahrscheinlichkeit für Tür 2 nach Öffnen von Tür 3: p = (1/3)/(1/3 + 1/6) = 2/3

 

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass an der Aufgabenstellung von Fachleuten auch deshalb Kritik geübt wurde, weil aus ihr nicht streng geschlossen werden kann, dass die Wahrscheinlichkeiten für die Fälle 1. und 2. jeweils 1/6 betragen. Nur, dass deren Summe 1/3 betragen muss, folgt aus der Spielregel. Ohne die entsprechende Zusatzforderung in der Problemstellung wäre beispielsweise für die Wahrscheinlichkeiten der ersten beiden Fälle auch die Kombination 1/3 und 0 denkbar. Dies würde zwar die "durchschnittliche Gewinnwahrscheinlichkeit" von 2/3 bei einem "Wechsel" nicht ändern, aber diese Wahrscheinlichkeit würde "aufgespalten" in 2/3 der Fälle mit p=1/2 und 1/3 der Fälle mit p = 1.

 

Lösung der ursprünglichen Aufgabe, die um die Welt ging

 

Nach den bisherigen Ausführungen dürfte die einfachste, durchaus korrekte "Begründung" dafür, dass die Gewinnchancen bei der von vos Savant und von Randow vorgelegten Aufgabe für beide verbleibenden Türen gleich sind, nicht mehr überraschen. Es wird das Beispiel betrachtet, dass der Moderator Tür 3 öffnet:

 

1.   Auto hinter Tür 1: p = 1/2

2.   Auto hinter Tür 2: p = 1/2

 

Wer möchte, kann es auch anders haben: Weil ganz zu Beginn jede der drei Türen eine Gewinnchance von 1/3 hat, bleiben nach dem Öffnen von Tür 3 die beiden folgenden Fälle übrig:

 

1.   Auto hinter Tür 1: p = 1/3

2.   Auto hinter Tür 2: p = 1/3

 

Wahrscheinlichkeit sowohl für Tür 1 als auch für Tür 2: p = (1/3)/(1/3 + 1/3) = 1/2

 

Nun könnte es Leute geben, die hier anmerken, dass diese Lösung überhaupt nicht berücksichtigt, dass der Kandidat am Anfang eine Tür "gewählt" hat. Das ist richtig erkannt. In der Aufgabe steht ja auch nicht, dass das irgendeine Rolle spielt.

 

Fängt man nun an, darüber zu grübeln, warum der Moderator beispielsweise Tür 3 öffnet, nachdem der Kandidat auf Tür 1 gezeigt hat, kann man auf viele Gedanken kommen. Gar nicht so abwegig ist die Annahme, die Monty Hall selbst durchgespielt hat (s.o), dass der Showmaster durch das Angebot eines Wechsels den Kandidaten nur von seiner richtigen Wahl abbringen will. Aber ebenso ist möglich, dass ein wohlwollender Moderator den Wechsel nur anbietet, weil der Kandidat mit seiner ersten Wahl falsch lag. Außerdem gibt es natürlich zahllose andere Möglichkeiten.

 

Marc Steinbach (s.o.) hat in seinen mathematischen Untersuchungen zum Ziegenproblem "alle möglichen Strategien" des Moderators betrachtet, und das Resultat ist wenig überraschend: Wer nichts über die Strategie des Moderators weiß, liegt mit der These richtig, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit für die beiden verbleibenden Türen jeweils gleich 1/2 ist.

 

Nur einen kleinen Tipp sollte man dem Kandidaten laut Steinbach noch geben: Damit seine Gewinnwahrscheinlichkeit tatsächlich genau 1/2 beträgt und nicht etwa größer oder gar kleiner ist, sollte er vor seiner Wahl eine Münze werfen und seine Entscheidung von dem Resultat abhängig machen.

 

Aber wo bleibt da die Strategie der Freunde der Zwei-Drittel-Lösung? - Richtig: Sie muss ihre Existenz mit unzähligen anderen teilen, die eine andere Lösung haben. Aber versuchen wir trotzdem nachzuvollziehen, wie man zu ihrer Annahme kommen könnte, obwohl sie in der Aufgabe nicht formuliert ist:

 

Der Kandidat sieht, dass der Showmaster nach seiner Wahl eine andere Tür mit einer Ziege öffnet und ihm eine neue Wahl anbietet. Und aus dem, was er sieht, leitet er direkt die Handlungsmotivation für den Moderator ab: "Er hat nach der Strategie gehandelt, eine von mir nicht gewählte Ziegentür zu öffnen."

 

Der Showmaster, der die Handlung vornimmt, sieht aber mehr als der Kandidat. Er weiß ja, wo das Auto steht. Die Strategie "Ich öffne jetzt eine nicht gewählte Ziegentür" würde das Wissen über die Autotür nur dafür ausnützen, dass das Öffnen der Ziegentür kein Fehlgriff wird. Aber warum soll er sein Wissen nicht für seine Strategie nutzen?

 

Zum Beispiel so: "Der Kandidat hat die Autotür gewählt. Ich werde deshalb jetzt Tür x öffnen und einen Wechsel anbieten." Oder so: "Der Kandidat hat falsch gewählt. Ich werde jetzt Tür x öffnen und einen Wechsel anbieten." Oder auch so: "Bei den letzten drei Shows hat jeweils der Kandidat verloren. Das ist auf die Dauer weder für uns noch für den Sponsor gut. Der Kandidat hat schon wieder falsch gewählt. Ich werde ihm deshalb heute einen Wechsel anbieten."

 

Er könnte natürlich auch in anderer Weise als mit der Strategie "Ich öffne jetzt eine nicht gewählte Ziegentür" einen Teil seines Wissens ignorieren, z.B. so:

 

"Nachdem der Kandidat eine Tür ausgewählt hat, werde ich die Ziegentür 3 öffnen und ihm eine zweite Wahl anbieten."

 

Oder auch ganz anders.

 

Wie wenig plausibel die Strategie "Ich öffne jetzt eine nicht gewählte Ziegentür" ist, sieht man noch besser, wenn man sie, ohne ihren Inhalt zu verändern, folgendermaßen ergänzt: "Ich öffne jetzt eine nicht gewählte Ziegentür, und zwar unabhängig davon, ob der Kandidat die Autotür gewählt hat oder nicht".

 

Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum der Moderator gerade diese Strategie wählen sollte.

 

Viel wahrscheinlicher als die "Annahme" der "Strategie" "Ich öffne jetzt eine nicht gewählte Ziegentür" durch die Zwei-Drittel-Fraktion ist ihr Irrtum, der darin besteht, nach oberflächlicher Betrachtung der Aufgabe und der Aufforderung durch die Publizisten zum "Beweis" zu schreiten unter der "Annahme", dass ein wiederholbares Experiment gegeben ist; was bei den vielen Beispielen aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung wie z.B. beim Würfeln oder beim Ziehen von Kugeln aus einer Urne auch der Fall ist, aber beim Ziegenproblem von Marilyn vos Savant und Gero von Randow eben nicht.

 

Ergibt sich die Spielregel als "zwanglose Annahme"?

 

Häufig wurde auch die Behauptung aufgestellt, dass die Show immer in der gleichen Weise abgelaufen ist und dieser Ablauf als Spielregel angesehen werden kann. Abgesehen davon, dass diese Annahme bei einer Aufgabe, die man um die Welt schickt, schon in ihrer Formulierung enthalten sein müsste, ist sie falsch. Denn die Show Monty Halls hat nie in dieser Weise stattgefunden, worauf Monty Hall selbst hingewiesen hat (s.a.o.). Er hatte stets alle Freiheiten. ("I am the host!" ("Ich bin der Chef!"))

 

Gero von Randow bringt sogar mit der Bemerkung des Moderators "Ich zeige Ihnen mal was", die er der Aufgabe hinzufügt, klar zum Ausdruck, dass er nicht von einer festliegenden Spielregel ausgeht. Auch zeigt der Moderator durch diese Aussage keineswegs, dass er jetzt nach dieser Regel spielt. Denn diese Bemerkung verträgt sich ja mit allen möglichen Strategien, die beispielsweise zum Öffnen von Ziegentür drei führen, nachdem der Kandidat zunächst Tür eins gewählt hat.

 

Mehr noch: Der Moderator, der ja sowohl die Autotür als auch die erste Wahl des Kandidaten kennt und der nicht schon vor der ersten Wahl bekanntermaßen festgelegt ist, kennt eigentlich nur zwei "Strategien", die dem beschriebenen Ablauf entsprechen und die sich hinter der Bemerkung "Ich zeige Ihnen mal was" verstecken: "Ich versuche, ihn noch von seiner richtigen Wahl abzubringen“ oder "Ich biete ihm noch eine zweite Chance". Und wenn der Kandidat und wir keine Hellseher sind, bleibt nach dieser Überlegung wieder nur die "Halbe-Halbe"-Lösung.

 

Im Gegensatz zu der Bemerkung "Ich zeige Ihnen mal was" könnte zum Beispiel in der Situation nach der ersten Wahl durch den Moderator in folgender Weise klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden, nach welcher Regel gespielt wird:

 

"Heute weiß ich selbst auch nicht, wo das Auto steht. Meine Mitarbeiterin kennt aber die Autotür. Ich fordere sie jetzt auf, eine Tür mit einer Ziege zu öffnen, die von Ihnen gewählte Tür aber noch geschlossen zu lassen."

 

Noch einmal ein Blick zurück in das Jahr 1991

 

Gero von Randow hatte in seinem oben erwähnten ersten Artikel "Eingebung nützt nichts" zum später so genannten Ziegenproblem am 19. Juli 1991 in der ZEIT auf Seite 58 die Aufgabenstellung wörtlich so formuliert wie später in seinem Buch (s.o.).

 

Seine Begründung der Zwei-Drittel-Lösung lautete damals folgendermaßen:

 

"Tür Nummer eins hat eine Ein-Drittel-Chance. Zeigt der Quizmaster nun, daß Tür drei als richtige Antwort ausfällt, verbleibt eine Zwei-Drittel-Chance bei Nummer zwei. Anders ausgedrückt: der kombinierte Fall, daß Tür zwei oder Tür drei das Auto verbergen, hat eine Wahrscheinlichkeit von zwei zu drei. Diesen Wert kann aber nur Tür 2 bekommen, weil Tür drei die Ziege zeigt. Der Witz ist, daß die Kandidatin bei ihrer zweiten Wahl über mehr Informationen verfügt als bei der ersten; denn der Spielleiter öffnet ja nicht die Tür, hinter der sich der Preis befindet."

 

Der Kern dieser Argumentation ist ein Scherz: "Wenn von den Fällen zwei oder drei einer ausscheidet, hat der andere die Wahrscheinlichkeit zwei Drittel."

 

Und recht vielen macht es immer noch Spaß, auf diesen Scherz hereinzufallen.

 

Da es sich dabei vor allem auch um Publizisten und andere "Multiplikatoren" handelt, haben wir bis heute das "Ziegenproblem".

 

Das eigentliche Rätsel beim Ziegenproblem ist ja, warum es nach den "messerscharfen Contra-Argumenten" nicht sofort umformuliert worden ist. Wenn zum Beispiel bei Schwarzer Peter über die Regeln Unklarheiten bestehen, werden sie ja auch innerhalb von Sekunden geklärt; und es werden keine stundenlangen Vorträge darüber gehalten, dass die gültigen Spielregeln aus den bisher formulierten, zusammen mit mehreren "hochplausiblen Zusatzannahmen", ableitbar sind; gefolgt von tagelangen Diskussionen darüber, ob diese These stimmt.

 

Viele werden sagen, dass die Lösung dieses Rätsels ja sehr einfach ist …

 

Neubeginn

 

Versuchen wir's doch mit folgender Aufgabe; auch auf die Gefahr hin, dass dann der ganze Spuk verschwindet:

 

Sie sind Kandidat einer Fernsehshow und stehen vor drei verschlossenen Türen. Hinter einer der Türen, die nach dem Zufallsprinzip bestimmt wurde, befindet sich der Preis, ein Auto; hinter den beiden anderen steht als Zeichen einer Niete jeweils eine Ziege. Der Showmaster weiß, hinter welcher Tür sich das Auto befindet. Sie müssen nun zwei Türen bestimmen, von denen der Showmaster eine Ziegentür öffnen muss. Bleibt dem Showmaster dabei eine Wahlmöglichkeit, so bestimmt er die von ihm zu öffnende Tür nach dem Zufallsprinzip. Danach dürfen Sie eine der beiden verbleibenden Türen auswählen. Geben Sie für jede der beiden Türen die Gewinnchance an.

 

Beispiel: Sie fordern den Moderator auf, Tür 2 oder Tür 3 mit einer Ziege zu öffnen, und er öffnet die Ziegentür 3. Geben Sie jeweils die Gewinnchance für Tür 1 und Tür 2 an.

 

Zum Schluss noch zwei Übungsaufgaben

 

1.

 

Die Regeln für die Endphase einer Spielshow lauten folgendermaßen:

 

3 Türen, 1 Auto, 2 Ziegen; wie beim Ziegenproblem.

Der nach dem bisherigen Verlauf zweitplazierte Kandidat (K2) darf eine Tür auswählen.

Der bisher Erstplazierte (K1) gewinnt das, was hinter den beiden anderen Türen steht.

Die Auflösung des Gewinnspiels nach der Zuordnung der Kandidaten zu ihren Türen beginnt damit, dass K1 eine seiner beiden Türen öffnet.

 

Frage: Wie groß ist die Gewinnwahrscheinlichkeit für die beiden Kandidaten, nachdem K1 eine Ziegentür geöffnet hat?

 

2.

 

In einer Urne befinden sich unsichtbar zwei weiße und zwei schwarze Kugeln. Der erste Spieler holt eine Kugel heraus, ohne dass sie der zweite Spieler sieht. Nun greift der zweite Spieler eine der drei in der Urne verbliebenen Kugeln. Die Kugel des zweiten Spielers ist weiß. Er soll nun raten, welche Farbe die Kugel des ersten Spielers hat. Wie stehen seine Chancen jeweils bei "weiß" und bei "schwarz"?

 

Anhang

 

Kopien meiner beiden Leserbriefe zum Ziegenproblem an die ZEIT aus dem Jahr 1991:

 

Brief vom 26. Juli 1991             Brief vom 28. Juli 1991

 

Seite 1                                     Seite 1

Seite 2                                     Seite 2

 

 

 

17. August 2012: Ergänzung um meinen von diesem Blog abgewiesenen Beitrag (Wenn er dort doch noch erscheinen sollte, werde ich ihn hier wieder löschen):

 

Hier mal ein bisschen was Neues: Eine Erweiterung des oben geschilderten “Kurzdialogs”.

 

B, C, D und E wollen dem A die Lösung des Ziegenproblems erklären. Drei Spielkarten zur Veranschaulichung liegen auf dem Tisch.

 

B: Jetzt muss der Moderator eine andere Tür mit einer Ziege öffnen.

A: Warum muss er das?

B: Sonst hätte das Spiel ja keinen Sinn.

A: Warum denn das?

C: Er muss es ja gar nicht unbedingt. Die Aufgabe sagt uns aber, dass er es tut.

A: Und jetzt soll ich raten, warum er es tut?

C: Nein, du sollst deine Gewinnchancen für die beiden verbleibenden Türen angeben.

A: Aber ich kann ja nicht wissen, ob er mich nur von meiner richtigen Wahl abbringen will …

E: Oder ob er so großzügig ist, dir eine neue Chance zu geben.

A: Genau.

D: Das sind ja sehr künstliche Annahmen.

A: Und was soll ich stattdessen annehmen?

D: Ganz einfach, dass es sich um einen fairen Moderator handelt.

A: Dass er mir also nur dann einen Wechsel anbietet, wenn ich mit der ersten Wahl falsch lag?

E: Das wäre tatsächlich sehr fair.

D: Fair bedeutet natürlich, dass der Moderator seine Aktion überhaupt nicht davon abhängig macht, ob der Kandidat mit seiner ersten Wahl richtig lag.

A: Er sagt sich also offensichtlich: “Ich öffne jetzt eine Tür mit einer Ziege, völlig unabhängig davon, ob der Kandidat mit seiner ersten Wahl das Auto getroffen hat.” Woher soll ich das wissen?

E: D meint sogar noch genauer, dass die Strategie des Moderators lautet: “Ich öffne jetzt eine nichtgewählte Ziegentür, ganz unabhängig davon, ob der Kandidat mit seiner ersten Wahl richtig oder falsch lag. Anschließend biete ich ihm einen Wechsel an.”

A: Es scheidet also beispielsweise auch die Möglichkeit aus, dass er die vom Kandidaten gewählte Ziegentür öffnet und einen Wechsel anbietet?

D: Das ist ja wieder so eine abstruse Annahme.

A: Ich versuche ja nur herauszukriegen, welche Aufgabe ich lösen soll. Die eigenartigste Annahme hast bisher du gemacht.

B: Wir müssen doch bedenken, dass es sich um eine Spielshow handelt, woraus sich die von D beschriebene Strategie zwanglos ergibt.

E: In Wirklichkeit hat aber gerade solch eine Spielshow nie stattgefunden.

D: Wir sollten uns von jeglicher realen Spielshow verabschieden. Es handelt sich um eine Denksportaufgabe und sonst nichts.

A: Und wie lautet diese Denksportaufgabe?

D: Genau so, wie sie formuliert ist, wobei die bei Denksportaufgaben üblichen impliziten Voraussetzungen gemacht werden. Wenn man all diese Voraussetzungen explizit formulierte, würden wir heute nicht mehr fertig.

E: Man müsste nur die entscheidende Stelle der Aufgabe so formulieren: “Sie müssen nun zwei Türen bestimmen, von denen der Showmaster eine Ziegentür öffnen muss”.

A: Das würde heißen, dass es gar nicht der Moderator ist, der dem Spiel eine überraschende Wendung gibt, sondern dass er durch den Zwang durch die Spielregel zu seiner Handlung gezwungen ist?

E: Genau. Das eigentliche Rätsel beim Ziegenproblem ist ja, warum man die entscheidende Voraussetzung für die 2/3-Lösung im “Impliziten” gelassen hat, obwohl sie ganz einfach und kurz explizit gemacht werden kann.

A: In dem, was ich bisher über das Ziegenproblem gehört und gelesen habe, hat das alles überhaupt keine Rolle gespielt. Trotzdem wurde locker die 2/3-Lösung behauptet.

C: Ich glaube, es ist Zeit, die Diskussion mit einem klaren Beweis für die Zwei-Drittel-Lösung zu beenden. Ich habe die Situation mit einer Monte-Carlo-Simulation in Excel nachgespielt. Dabei ergibt sich eindeutig die Zwei-Drittel-Lösung und basta. Wer es nicht glaubt, kann ja das Programm überprüfen.

A: Und welche Aufgabe hast du simuliert?

C: Natürlich genau die, die vorliegt.

E: Du hast in deiner Simulation offensichtlich unbewusst die Spielregel eingebaut, die zu einer 2/3-Lösung führt. Du hast die einmalige Spielsituation, mit der der Kandidat konfrontiert ist, zur Regel gemacht. Das ist ein typischer Fehler in der Mathematik, beim Beweis etwas vorauszusetzen, was durch die Aufgabenstellung nicht gegeben ist. Wie man z.B. im Internet sehen kann, meinen tatsächlich viele, dass allein aus der Tatsache, dass der Moderator eine nichtgewählte Ziegentür öffnet, die 2/3-Lösung folgt. Mit entsprechend verworrenen Begründungen. Oder eben mit angeblich überzeugenden Simulationen, die aber eine andere Aufgabe lösen als die gestellte. Übrigens fällt dabei auch die Möglichkeit weg, die Aufgabe mit einer 2/3-Lösung einer “benachbarten” Aufgabe, die eine Halbe-Halbe-Lösung hat, gegenüberzustellen. Denn die Aufgabe, für die die 2/3-Lösung behauptet wird, ist ja schon die mit einer Halbe-Halbe-Lösung.

A: So. Wie lautet nun die Begründung der Zwei-Drittel-Lösung bei korrekt gestellter Aufgabe?

E: Ich weiß, welche der drei Karten wo liegt. – Wähle eine aus. – Ich muss nun eine der beiden Karten, die du nicht gewählt hast, mit einer Niete aufdecken. Wenn ich diese aufdecke, wählst du beim zweiten Mal diese, und wenn ich diese aufdecke, wählst du diese. Du gewinnst also das Spiel durch einen Wechsel, wenn der Gewinn unter einer dieser beiden Karten liegt.

A: Ist das alles?

E: Ja. Und ganz ohne Monte-Carlo-Simulation. Und wir mussten mit dem Nachspielen nicht einmal richtig anfangen. Übrigens haben im Jahr 1991 drei von den vier Leuten, die die New York Times eingeladen hatte, um das Problem ein für alle mal zu klären, ganz ähnliche Einwände gegen die Spielregel, verbunden mit der behaupteten Zwei-Drittel-Lösung, gebracht wie du und ich; nämlich Martin Gardner, Persi Diaconis und Monty Hall. Und die vierte, Marilyn vos Savant selbst, sagte, dass diejenigen, die diese Einwände bringen, damit zeigen, dass sie das Problem wirklich verstanden haben.